In diesem Beitrag geben wir Ihnen einen Überblick über unser Panel „Akte X Wärmewende“ bei den Berliner Energietagen vom 3. Mai 2023. Diesmal sprachen wir mit Experten aus der ENGIE-Gruppe und mit geladenen Gästen über den Status quo der Wärmewende in Deutschland. So viel vorab: Einige innovative Punkte haben selbst den Moderator überrascht.
Bereits zum sechsten Mal sind wir bei den Berliner Energietagen mit einem Panel rund um Gebäude und Quartiere. In diesem Jahr haben wir das Thema Wärme aufgegriffen. Unter dem Motto „Akte X Wärmewende“ sind wir zahlreichen ungelösten Fragen rund um grüne Wärme, um die anstehende Sanierungswelle sowie um ein effizientes und resilientes Versorgungsnetz nachgegangen. Dazu referierten in diesem Jahr sechs Experten aus der Energiewirtschaft über die großen Herausforderungen und Lösungen der Wärmewende. Fast 450 Teilnehmer:innen verfolgten die Vorträge und begleitenden Diskussionsbeiträge des Panels.
Um die Dringlichkeit des Themas klarzustellen: 2050 – also in weniger als drei Jahrzehnten – soll der Gebäudesektor in Deutschland nahezu klimaneutral sein. Eine wahre Jahrhundertaufgabe für die Politik, für den kommunalen Bereich, für die Wohnungswirtschaft und für die Industrie. Derzeit wenden wir in Deutschland nach wie vor rund die Hälfte der Energie für Wärme auf. Der Gebäudesektor ist zudem (noch) für ein Drittel des CO2-Ausstoßes im Bundesgebiet verantwortlich. Hier muss also weiterhin viel passieren. Allein vom Wärmebedarf her soll Deutschland kräftig herunterfahren. Angestrebt ist laut Bundesregierung eine Reduktion von 30 bis 50 Prozent im Gebäudesektor.
Wie kann uns die Wärmewende gelingen? Dazu sprach unser Moderator Christian Noll, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz e. V. (DENEFF), mit Dr. Frank Höpner, Leiter Strategie und Energiepolitik bei ENGIE Deutschland, sowie mit Experten aus der Energiewirtschaft. Das Panel beleuchtete den Status quo der Wärmewende und stellte gleichzeitig Szenarien und neue Ansätze vor, wie eine wirtschaftliche und grüne Wärmeversorgung in der Praxis gelingt. Wir haben gemeinsam mit unseren Gästen aufgezeigt, was politisch geplant und praktisch machbar ist und an welchen Stellen die Wärmewende schon erfolgreich anläuft.
Die Leitfragen des Panels drehten sich unter anderem darum,
Gemeinsam mit Dr. Frank Höpner unterzog Peter Mellwig, der Themenleiter Fachbereich Energie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) die Wärmewende einem Faktencheck.
Im Interview wurde deutlich, dass die Sanierung des Gebäudebestands einen großen Erfolgsfaktor für die Wärmewende darstellt. Veraltete Gebäude verbrauchen oft fünfzehn bis zwanzig Mal mehr Wärmeenergie als Objekte mit modernen Dämmstandards. Nur die Sanierung ermöglicht es, den Wärmebedarf der zahlreichen Bestandsbauten insgesamt zu senken, was für die Zukunft zwingend erforderlich ist. Peter Mellwig nannte hierzu nötige Sanierungsraten aus aktuellen Energie-Szenarien von 1,7 bis 1,9 Prozent. Wichtig sei es diesbezüglich, Sanierungszyklen möglichst zu verkürzen und dadurch neue Anreize zu schaffen, so der Experte. Als Ausblick brachte Peter Mellwig abschließend an, dass Wärmepumpen und Fernwärmenetze gemäß Prognosen künftig den überwiegenden Teil des Wärmeenergiebedarfs im Gebäudebereich decken werden.
Anselm Laube knüpfte diesbezüglich an. Für den Geschäftsführer des Vereins Ludwigsburger Energieagentur LEA e. V. ist ein effizientes Wärmenetz nur mit effizienten Häusern möglich. Erst wenn man die Gebäudeeffizienz mitdenkt, kann ein Fernwärmenetz auch mit niedrigeren Temperaturen und damit effizient und erneuerbar betrieben werden.
Wie dies praktisch gelingen kann, bewies Anselm Laube anhand eines Vorreiterprojekts für die kommunale Wärmeplanung in Steinheim an der Murr. Dort wird ein Versorgungskonzept über ein neues Niedrigtemperatur-Wärmenetz realisiert. Die Besonderheit: Es handelt sich um eine Niedrigtemperatur-Versorgung im Bestandsbau – nicht wie üblich im Neubau. Ein lokales Versorgungsnetz, das mit niedrigen Temperaturen arbeitet, spart laut dem Referenten deutlich mehr Ressourcen. So verzeichnete das Projekt unter anderem beim Strombezug durch Wärmepumpen Einsparungen von fast 40 Prozent sowie einen um nahezu 20 Prozent höheren Ertrag bei den lokalen Solarthermieanlagen. Möglich macht dies eine geschickte Umrüstung der Bestandsgebäude in puncto Trinkwasserversorgung und Raumwärme durch Vergrößerung der Heizflächen.
Jörg Zander ist Mitarbeiter im Berliner Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Er sprach über die kommunale Wärmeplanung am Beispiel der Mierendorffinsel. Das ist ein klassisches Berliner Bestandsquartier mit vielen verschiedenen Gebäudetypen – von der Gründerzeit bis zu modernen Baujahrgängen. Und um diese effizient mit grüner Wärme zu versorgen, bedarf es einer durchdachten Strategie.
Die Besonderheit des Areals: Durch das Quartier verlaufen zwei Abwasserdruckrohrleitungen, die ein bislang ungenutztes kumuliertes Wärmeentzugspotenzial von 10 MW bieten. So wäre eine großflächige Wärmeversorgung des Quartiers über Abwasser denkbar. Eine innovative Idee, die wie Jörg Zander anbrachte, jedoch bislang an der Praxis scheitert. Die technische Umsetzung ist gar nicht das Problem. Urbane Räume wie die Mierendorffinsel sind vielmehr so heterogen strukturiert, dass sie nur eingeschränkt strategiefähig sind, beschrieb der Referent. Zahlreiche Kapitalgesellschaften, Eigentümergemeinschaften und Einzelpersonen machen es beinahe unmöglich, gebäude- und grundstücksübergreifende Lösungen zu realisieren. Jörg Zander sieht hier Handlungsbedarf durch die Politik: Es fehle an ordnungspolitischen Instrumenten, die eine Wärmewende vor Ort praktisch ermöglichen. So lässt die Umsetzung eines für das Quartier sinnvollen Konzepts, das bestehende Abwärmeleitungen für die Wärmewände im Berliner Quartier nutzen möchte, derzeit noch auf sich warten.
In wesentlich homogeneren Eigentumsverhältnissen bewegte sich Dr. Lars Dittmann, Abteilungsleiter Klimaneutraler Gebäudebestand bei der Vonovia SE. Das Wohnungsunternehmen betreut zahlreiche kleine und größere Quartiere in ganz Deutschland. Dr. Lars Dittmann sprach in seinem Vortrag über die Wärmewende-Strategie des Konzerns und bisherige Erfolge. Diesbezüglich nannte er drei wesentliche Hebel:
Für Dr. Dittmann sind Wärmenetze und Wärmepumpen der Schlüssel zur Wärmewende in dicht bebauten Gebieten. Fernwärme ist dabei für alle Gebäudeeffizienzklassen des Vonovia-Bestands ein wichtiges Thema. Dort, wo die Technologie nicht infrage kommt, plant das Unternehmen mit Wärmepumpen. Dr. Dittmann ist, was die Vonovia betrifft, guter Dinge bei der Wärmewende. Der Konzern hat den Fokus bereits entschieden auf die Bestandssanierung gelegt – mit Erfolg: Bislang konnten Sanierungsquoten von bis zu 3 Prozent erreicht werden. Diesbezüglich hob der Referent hervor, dass dies stets eine individuelle Betrachtung der Quartiere voraussetze. Alle Möglichkeiten wären jeweils auszuloten. Hierzu zähle nicht zuletzt, neue Technologien auf dem Schirm zu haben. Dr. Dittmann ging dabei kurz auf ein unternehmenseigenes Forschungsprojekt zur Erprobung von Power-to-H2-Anlagen, Brennstoffzellen und Speichertechnologien ein. Abschließend bemängelte er die Herausforderungen, die insbesondere bezüglich des Ausbaus von Wärmepumpen und der Netzanschlüsse bestehen. Hier wünscht sich der Experte ein orchestriertes, klares Vorgehen. Derzeit wären weder die Umsetzungsfristen noch die Kosten planbar.
Anschließend sprach Axel Popp darüber, wie Kooperationen die Wärmewende massiv beschleunigen können. Der Leiter für Geschäftsentwicklung Wärmenetze & Geothermie bei ENGIE Deutschland stellte zunächst grundlegend klar, dass erneuerbare Energien einer ganz anderen Kostenstruktur bedürfen als fossile Technologien. Die Sanierung des Bestands und der Kauf neuer Technik erfordern eine enorme Investitionsintensität. Das stelle vornehmlich Kommunen mit begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen vor große Herausforderungen. Hier seien zahlreiche Hemmnisse und Fallstricke zu umgehen – etwa unrealistisch kalkulierte Zeitrahmen für Projekte oder falsche Investitionsentscheidungen.
Axel Popp mahnte an, dass es volkwirtschaftlich gesehen unsinnig sei, dass jede Kommune „eine eigene Lernkurve“ bei der Energiewende macht. Dem Energieexperten nach sei es wesentlich effizienter, auf vorhandenes Know-how zurückzugreifen. Gerade dieser Punkt mache Kooperation so wertvoll. Das Plädoyer des Referenten: Die Wärmewende sollten vor allem Kommunen im Rahmen von Partnerschaften angehen, anstatt auf eigene Faust zu handeln. Energiedienstleister wie
ENGIE bieten hierfür eine effiziente Businessplanung, haben deutschlandweite Vergleiche für Beschaffungsmöglichkeiten und kennen sich bestens mit dem Fördermittelmanagement aus. Nicht zuletzt findet eine Risikoverschiebung statt, da ein Energiedienstleister im Regelfall alle Umbauarbeiten sowie die Anschaffung und den Betrieb von technischen Anlagen übernimmt.
Während seines Vortrages erwähnte Axel Popp außerdem die großen Potenziale der Geothermie für den Gebäudebereich. Die Technologie stelle insbesondere für die Grundlastabdeckung eine großartige Lösung für die Wärmeversorgung von Kommunen dar, so der Experte.
Den Abschlussvortrag unseres Panels auf den Berliner Energietagen 2023 hielt Stefan Schwan von ENGIE Deutschland. Der Geschäftsbereichsleiter Energy & Facility Solutions stellte als abschließenden Impuls einen Aspekt klar: drei entscheidende Erfolgsfaktoren für die Wärmewende.
Die Beiträge unseres Panels bei den Berliner Energietagen 2023 haben gezeigt: Mit Umsicht, den richtigen Ideen und konsequentem Handeln ist eine erfolgreiche Wärmewende möglich. Gefragt sind neue Technologien, clevere Ideen und Meschen, die entschieden vorangehen. Außerdem liegt es an der Politik, die entsprechenden Impulse an den Gebäudesektor zu senden. Wir sind jedenfalls schon gespannt, was es auf den Berliner Energietagen 2024 zum Thema zu berichten gibt. Das ganze Panel zum Nachschauen finden Sie jetzt hier: Akte X Wärmewende – Berliner Energietage 2023