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ENGIE Deutschland Zero Carbon-Magazin: Impulse #12: Koalitionsvertrag als Klimabooster

Impulse #12: Koalitionsvertrag als Klimabooster

01. Februar 2022

"Mehr Fortschritt wagen – und mehr Kreativität wagen! Dann führt uns der Koalitionsvertrag 2021–2025 in eine grüne und chancenreiche Zukunft."

Der Januar ist für mich einer der spannendsten Monate des Jahres. Ich mag die Aufbruchstimmung, die Bereitschaft, Neues zu wagen, und den Mut zum Vorangehen, die der Jahresauftakt traditionell mit sich bringt. In diesem Jahr steht dieser Aufbruch für mich besonders im Licht des Koalitionsvertrags, den die Bundesregierung im Dezember 2021 vorgestellt hat. „Mehr Fortschritt wagen“, aus meiner Sicht ein hoffnungsvolles, passendes Versprechen auch zum neuen Jahr. Jedoch: Findet sich im Koalitionsvertrag tatsächlich der versprochene Fortschritt für die Energiewirtschaft? Dazu möchte ich heute meine persönlichen Gedanken und die Sicht von ENGIE Deutschland auf den Koalitionsvertrag mit Ihnen teilen.

 

„Fit for 55“ – der europäische Rahmen für Klimaneutralität

Zunächst – was bleibt? Dass wir im Rahmen des Klimakonzepts „Green Deal“ und des Maßnahmenpakts „Fit for 55“ der Europäischen Union agieren und die vorgegebenen Klimaziele erfüllen müssen, hat sich selbstredend mit der neuen Legislaturperiode nicht geändert. Seit 2019 liegen diese Ziele auf dem Tisch: Zum einen strebt die Europäische Union eine Reduktion der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030 an und zum anderen das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050. Für Deutschland ergeben sich daraus die Nationalziele, die Treibhausgase bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu senken und bis 2045 klimaneutral zu werden. Diese Minderungsziele sind extrem ambitioniert, werden zu disruptiven Veränderungen in allen Sektoren führen und enorme Anstrengungen von uns allen verlangen. All dies ist uns reichlich bekannt und bildet(e) den Rahmen für die amtierende ebenso wie für die Bundesregierung a. D. Insofern wird uns vieles weiter begleiten, das bereits in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen wurde. Und doch wurden die Rufe nach einer Kursverschärfung unlängst immer lauter. Dass deutlich mehr und deutlich schneller geschehen muss als bisher, zweifelt wohl kaum jemand an – sich mehrende Umweltkatastrophen wie das Hochwasser im vergangenen Sommer bilden alarmierende Warnsignale. An manchen Stellen müssen politische Fehlentscheidungen korrigiert und Versäumnisse der vergangenen Jahre aufgeholt werden. Umso höher sind die Erwartungen an die rot-grün-gelbe Koalition.

 

Drei Säulen fürs Klima

Die Europäische Union sieht drei zentrale Säulen in der Klimapolitik vor, bei denen alle Mitgliedsstaaten ins Handeln kommen müssen: erneuerbare Energien, Dekarbonisierung und Energieeffizienz. Wie Deutschland dabei ab sofort konkret vorgehen wird, lautete die mit Spannung erwartete Frage im Hinblick auf die (inzwischen nicht mehr ganz) neue Ampelregierung. Und darauf gibt sie im Koalitionsvertrag Antworten, die meiner Meinung nach ein Zeichen setzen und in die richtige Richtung weisen. Lassen Sie uns einen näheren Blick auf die drei Säulen werfen.

Neue Energie aus Erneuerbaren

Erneuerbare Energien sind eine tragende Säule für Klimaneutralität und spielen daher eine wichtige Rolle im Koalitionsvertrag. Bis 2030 wollen wir in Deutschland 80 Prozent Strom und 50 Prozent Wärme aus erneuerbaren Energien erreichen, so die Zielmarken – bis dato waren es 65 Prozent Strom gewesen. Dass der Ausbau ab sofort in vielfacher Geschwindigkeit vorangehen soll, wie es im Koalitionsvertrag heißt und wie Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck vor wenigen Tagen in seiner „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ betonte, begrüßen wir bei ENGIE Deutschland. Denn, dass die Zielerreichung nur mit mehr Tempo möglich sein wird und vor allem die Umsetzung praktikabler werden muss, monieren wir bereits seit Längerem. Für mich ist es ein positives Signal, dass sich dazu im Koalitionsvertrag konkrete Vorgaben und Ansatzpunkte finden: Die Kapazitäten von Onshore-Wind sollen sich bis 2030 verdoppeln, bei Offshore-Wind und Photovoltaik sollen sie sich vervierfachen. Umsetzbar ist das nur, wenn sich beispielsweise Photovoltaikanlagen künftig nicht mehr nur auf Freiflächen am Autobahnrand finden, sondern tatsächlich überall. Deutschland ist hier schwach aufgestellt. Ich denke insbesondere an Geschossbauten in Städten, die großes Potenzial für Aufdach-Solaranlagen bieten. Gerade in Kombination mit Mieterstrom, worauf das von ENGIE Deutschland gegründete Start-up Solarimo spezialisiert ist. Gleichzeitig wissen mein Team und ich aus vielen Gesprächen mit Kunden:innen, dass sich solche Projekte aus Sicht der EU-Taxonomie häufig nicht lohnen oder gar abgestraft werden. Unter rein klimapolitischen Gesichtspunkten lohnt es sich jedoch sehr wohl. Deshalb braucht es mehr Anreize und öffentliche Zuschüsse durch den Gesetzgeber, wenn wir die Klimaziele ernst nehmen. Ähnliches gilt meines Erachtens für Windenergie: Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt – endlich. Erlauben Sie mir an dieser Stelle den Hinweis, dass ich absolut verstehe, wenn Menschen Windräder in ihrer Umgebung ablehnen und dass Anwohner- und Artenschutz wichtig ist. Jedoch müssen wir dem Klimaschutz bei diesem Thema Vorrang gewähren. Es geht nicht anders, wenn wir eine gute Zukunft für unseren Planeten und für uns alle möchten.

 

Energieeffizienz als Schlüsselelement

Nun habe ich viel über erneuerbare Energien geschrieben. Bleiben die Säulen Dekarbonisierung und Energieeffizienz – wie viel Aufbruch steckt dazu im Koalitionsvortrag? Was die Dekarbonisierung betrifft: CO2 muss monetarisiert werden, der Wärme- und der Verkehrssektor sollen viel stärker elektrifiziert werden, so heißt es. Auch dass wir Gas zum langfristigen Umbau des Energiesystems bis 2045 – dann soll die Nutzung enden – als Brückentechnologie brauchen, gilt als Common Sense. Um bis dahin den Verbrauch zu decken, bedarf es neuer Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 30 Gigawatt. Doch ist in der Privatwirtschaft überhaupt die Bereitschaft für diese Investitionen vorhanden? Und wenn wir ab 2045 auf Wasserstoff setzen werden, müsste dann bereits jetzt eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden? Oder würde dann die bestehende Gas-Infrastruktur eingesetzt? Und zur Energieeffizienz – wie Sie wissen, liegt mir dieses Thema am Herzen. Bei ENGIE Deutschland sehen wir Energieeffizienz als ersten wichtigen Schritt auf dem Transformationspfad. Mehr zu unserem „Real-Zero-Konzept“ erfahren Sie auf unserer Website. Im „Fit for 55“-Paket gilt das „Efficiency First“-Prinzip als hohes klimapolitisches Ziel. Und auch die Bundesregierung verspricht im Koalitionsvertrag: „Wir machen Deutschland zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt.“ Doch wie genau unterstützt der deutsche Gesetzgeber Unternehmen dabei, ihre Anlagen effizienter aufzustellen und Gebäude energetisch zu sanieren? Aktuell ist die KfW-Förderung ausgesetzt worden, da neue, ambitioniertere Effizienzstandards festgelegt werden sollen. Für Neubauten ist das nichts Neues. Werden nun auch verbindliche Mindeststandards kommen, um Bestandsgebäude klimaneutral aufzustellen? Die spannende Frage lautet insgesamt: Wie sieht die Effizienzstrategie für Deutschland bis 2030 konkret aus?
 

Mehr Kreativität wagen

Liebe Leser:innen, ich hoffe, dass Sie mir die bewusste Prise „Realität“ an dieser Stelle erlauben. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Mich stimmen die klimapolitischen Ansätze im Koalitionsvertrag durchaus optimistisch; ich verstehe sie als Ausgangsbasis, dass wir jetzt tatsächlich an Geschwindigkeit zulegen und Klimaneutralität erreichen können. Zu erneuerbaren Energien finden sich dafür konkrete und ehrgeizige Ansätze im Dokument. Doch meine ich, dass der Entwicklungspfad für Dekarbonisierung und Energieeffizienz noch nicht gleichermaßen ausgereift ist. Viele Fragen, darunter die von mir oben beispielhaft aufgeführten, bleiben offen – und somit auch viele Chancen ungenutzt. Was mir insgesamt fehlt, sind der große Spirit und das klare Positionieren von Deutschland als Vorreiter innerhalb der Europäischen Union. Wir haben die Verantwortung, mehr zu tun als europäische Mindeststandards erfüllen. Mehr Mut zum Aufbruch, mehr Mut zu Klarheit und zu Kreativität – das ist mein persönlicher Wunsch an die Politik. Dann können wir gemeinsam mehr Fortschritt nicht nur in der Energiewirtschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft erzielen.

Nun bin ich wieder gespannt auf Ihre Meinung: Wie viel Licht und wie viel Schatten sehen Sie im Koalitionsvertrag? Ich freue mich auf Ihre Nachrichten an manfred.schmitz@engie.com dazu.

Herzlichst

Ihr Manfred Schmitz
CEO ENGIE Deutschland

 

Unser Experte

Manfred Schmitz
Einmal im Monat teilt Manfred Schmitz, CEO der ENGIE Deutschland, seine Sicht auf aktuelle Themen in unserer Kolumne Impulse.

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