Als vielseitiger Energieträger kann Wasserstoff einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten. Viele Hoffnungen ruhen darauf, dass die Wasserstofftechnologie zu einem entscheidenden Klimaretter wird. Doch welche Schritte sind heute nötig, damit dies gelingt? Um diese und andere wichtige Fragen rund um die Wasserstofftechnologie zu erörtern, lässt Manfred Schmitz, CEO der ENGIE Deutschland, heute eine Gastautorin zu Wort kommen. Seine Kollegin Catherine Gras ist CEO der ENGIE-Töchter Storengy UK und Storengy Deutschland und Expertin auf diesem Gebiet.
„Die Wasserstofftechnologie ist ein Eckpfeiler für das Erreichen der europäischen Klimaziele. Wir müssen jetzt die Weichen stellen und die benötigte Wasserstoffinfrastruktur aufbauen – die Voraussetzungen in Deutschland sind sehr gut.“
Catherine Gras, CEO von Storengy UK und Storengy Deutschland
Von der „Klimahoffnung Wasserstoff“ haben wir alle schon viel gehört, viel gelesen. Künftig soll Wasserstoff fossile Energieträger großflächig ersetzen und gilt weitläufig als das Schlüsselelement für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Wir von Storengy Deutschland, einem Unternehmen der ENGIE-Gruppe, gehören zu den führenden Wasserstoffspezialisten im deutschsprachigen Raum und beschäftigen uns seit Jahren intensiv mit dieser Technologie. Unser Bestreben ist es, entsprechende Lösungen für die Erzeugung von grünem Wasserstoff mittels Elektrolyse von Wasser zu entwickeln und umzusetzen und somit die Weichen für eine wasserstoffbasierte Energieinfrastruktur zu stellen – in Deutschland, in Europa, weltweit. Das Potenzial ist vielfältig. Doch wie können wir dieses nutzen, und wo stehen wir dabei aktuell? Ich freue mich, dazu meine Gedanken und Erfahrungen mit Ihnen, liebe Leser:innen, teilen zu dürfen und bedanke mich bei Manfred Schmitz für die Gelegenheit, hier als Gastautorin zu schreiben.
Keine Frage: Persönlich bin ich seit langem davon überzeugt, dass die Wasserstofftechnologie ein entscheidender Baustein für die Dekarbonisierung der Wirtschaft und für das Erreichen der europäischen Klimaziele ist. Aus meiner Sicht müssen wir allerdings die Entwicklung wesentlich stärker forcieren. Woran es dabei hakt? Sicherlich an der Infrastruktur. Staaten, die auf ihrem Dekarbonisierungspfad auf Wasserstoff setzen möchten, benötigen eine umfassend angelegte Wasserstoffinfrastruktur, die bislang nicht existiert. Deutschland ist hier in besonderer Weise gefordert, denn die Dekarbonisierung unserer großen Industriecluster wird nach enormen Wasserstoffmengen verlangen. Gleich mehrere dieser Industriecluster befinden sich im Nordwesten Deutschlands. Deshalb betrachten wir bei Storengy dieses Gebiet als einen sogenannten „Sweet Spot“, der in Zukunft einer besonders umfassenden Infrastruktur für die Produktion, den Transport und die Speicherung von Wasserstoff bedarf. Eine solche Infrastruktur in unserem Land wird dem Wasserstoffmarkt in ganz Europa zugutekommen, ihn idealerweise sogar beflügeln.
Damit das gelingen kann, müssen wir jetzt die Weichen stellen. Es ist unumstritten, dass dabei Speicherlösungen eine entscheidende Rolle spielen. Wir brauchen künftig eine Wasserstoffspeicherung im industriellen Maßstab, heißt im großen bis sehr großen Stil. Richten wir zunächst unseren Blick auf den Erdgassektor. Fakt ist: Ohne entsprechende Speicherlösungen hätte sich der Erdgassektor in Europa in den vergangenen Jahren nicht so stark entwickeln und Endverbraucher:innen mit ebenso erschwinglicher wie zuverlässiger Energie versorgen können. Dabei wird heute circa ein Viertel des europäischen Gasverbrauchs unterirdisch gespeichert. Was bedeutet das für Wasserstoff? Das Szenario ähnelt der Gasspeicherung. Ich gehe davon aus, dass sich die Nachfrage von Wasserstoff in zwei verschiedene Richtungen entwickeln wird. Zum einen in einen recht konstanten Bedarf in der Industrie und im Mobilitätssektor. Und zum anderen in eine eher unregelmäßige Nutzung als Back-up für die volatile Stromerzeugung. Dazu kommt, dass das Angebot von Wasserstoff von der Herstellungsart abhängt: Blauer Wasserstoff wird aus Erdgas gewonnen; sein Produktionsniveau ist gut steuerbar. Hingegen basiert grüner Wasserstoff auf erneuerbaren Energien und seine Verfügbarkeit ist somit schwerer zu planen. Um diese Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, wird das zuverlässige Speichern von Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen. Ich meine sogar, dass die Wasserstoffspeicherung für die Versorgungssicherheit bedeutsamer sein wird, als es derzeit die Gasspeicherung ist – vor allem im Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft.
Aquifere, ehemalige Gas- und Erdöllager in porösem Gestein, Salzkavernen – Erdgas wird heute in Europa auf unterschiedliche Art gespeichert, vor allem die Untergrundspeicher sind von zentraler Bedeutung. Doch welche Speicherlösungen kommen für Wasserstoff in Frage? Dafür lohnt sich ein Blick über den (großen) Teich, denn im Vereinigten Königreich und in den USA sind Salzkavernenspeicher für Wasserstoff bereits im Betrieb. Somit sind für Europa die Umwidmung, der Ausbau und das Schaffen entsprechender Lagerstätten für Wasserstoff die naheliegenden nächsten Schritte. Erfreulich ist: Die geografischen Voraussetzungen dafür sind gut. Vor allem der Nordwesten Deutschlands verfügt über viele bestehende Kapazitäten. Und die Salzschicht, die zwischen Norddeutschland, den Niederlanden, Dänemark und der Nordsee liegt, eignet sich ideal, um neue Lagerstätten zu entwickeln. Dass Dänemark und die Niederlande sich momentan als Wasserstoff-Drehscheiben positionieren und dahingehende Verbindungen aus Deutschland das Entstehen einer großen, europäischen Wertschöpfungskette begünstigen, ist ein weiterer Pluspunkt – insbesondere um Angebot und Nachfrage in den angesprochenen „Sweet Spots“ optimal zu bedienen.
Insgesamt können wir davon ausgehen, dass der Speicherbedarf für Wasserstoff in zehn Jahren in Deutschland erheblich sein wird – so erheblich, dass er rasch das Umwidmungspotential der bestehenden Salzkavernen übersteigen könnte. In der Folge werden neue Investitionen, Erweiterungen der bestehenden und die Etablierung weiterer Lagerstätten vonnöten sein. Dabei kommt es auf das Timing an: Im Sinne der Klimaschutzpolitik müssen wir die Wasserstoffwirtschaft bis Ende der 2030-er Jahre massiv vorantreiben. Das ist eine riesige Herausforderung für Deutschland wie für jeden anderen Staat: Die Länder sind gefordert, gleichzeitig einen schrumpfenden Gassektor, für den noch Speicherbedarf besteht, und einen wachsenden Wasserstoffsektor, für den weiterer Speicherbedarf auf uns zukommt, zu bewältigen. Ich halte es für wesentlich, dass dieser Übergang von unserer Erdgas- in eine Wasserstoffinfrastruktur in durchdachter, strukturierter und kontrollierter Weise erfolgt. An entsprechenden Innovationen und Konzepten arbeiten derzeit zahlreiche F&E- und Pilotprojekte in ganz Europa. Denn damit die Wasserstoffspeicher bis 2030 einsatzbereit sind, müssen wir jetzt vorankommen. Das heißt, innerhalb der nächsten beiden Jahre müssen die kleinen Pilotprojekte die Skalierung hin zu großen kommerziellen Projekten erreichen. Ich bin überzeugt: Das kann uns gelingen. Wenn die Industrie ins Handeln kommt, Unternehmen in der Anfangsphase der Wasserstoffwirtschaft erheblich investieren und sich auf weitere Investitionen in den kommenden Jahren vorbereiten. Und wenn wiederum die Politik hierfür die notwendigen Rahmenbedingungen setzt. Dabei sind zwei Maßnahmen zentral: einerseits ein verlässliches Marktumfeld für Investor:innen, Lieferant:innen und potenzielle Kund:innen zu schaffen – und andererseits effiziente Genehmigungsverfahren zu gewährleisten, damit es nicht zu unnötigen Verzögerungen im Entwicklungsprozess kommt. Gelingt uns dies, sind wir einen großen und wichtigen Schritt weiter, um Wasserstoff zum Durchbruch zu verhelfen – und somit auf unserem Weg in die Klimaneutralität.
Liebe Leser:innen, nun bin ich äußerst neugierig auf Ihre Erfahrungswerte: Wie schätzen Sie das Potenzial der „Klimahoffnung Wasserstoff“ ein? Wo sehen Sie entsprechende Chancen, wo momentan die größten Hürden? Oder dürfen mein Team und ich Sie bei einem konkreten Projekt begleiten? Dann melden Sie sich gerne per LinkedIn bei mir – ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen.
Herzlichst
Catherine Gras
CEO von Storengy UK und Storengy Deutschland