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Ein Booster für die Energiewende? Was die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts für die Wirtschaft bedeutet.

Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts – wird jetzt alles anders?

09. August 2022

Klimawandel, Energiewende, Versorgungssicherheit – das Thema Energie war noch nie so relevant und brisant wie heute. Während die technischen Lösungen zur Verfügung stehen, blickt die Energiewirtschaft gespannt auf die Politik. Seitens des Bundes gilt es, nun möglichst rasch neue Regelungen einzuführen, die den Ausbau der Erneuerbaren entbürokratisieren, beschleunigen und den aktuellen versorgungstechnischen sowie geopolitischen Herausforderungen Rechnung tragen. Mit zahlreichen Neuregelungen zum Energierecht hat der Bund nun seine Antwort auf die Fragen der Zeit formuliert. Was wurde vor der Sommerpause im Bundestag beschlossen? Wir werfen aus Marktsicht einen Blick auf die Eckpunkte der größten energiepolitischen Novelle seit Jahren.

 

Die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts im Überblick

Ob Erneuerbare-Energien-Gesetz, Gebäude-Energie-Gesetz oder Energiesicherungsgesetz – die Neuregelungen des Energiewirtschaftsrechts sehen tiefgreifende Änderungen an zahlreichen Gesetzestexten vor. Mehr als zehn Einzelgesetze hat der Bund mit dem Maßnahmenpaket überarbeitet. Ebenso gelten seit dem Inkrafttreten am 29. Juli zusätzliche Regelungen und neue Gesetze. Das Paket besteht aus insgesamt fünf Novellen für den Ausbau erneuerbarer Energien sowie zwei Novellen für die Stärkung und Erweiterung von Vorsorgemaßnahmen. Zwei Kernaspekte stechen dabei hervor:

  1. Tempo machen bei der Klimapolitik – bei den im Koalitionsvertrag vereinbarten Zielen und der Umsetzung der Vorgaben der Europäischen Union
  2. Auf die derzeitige Krise reagieren – Versorgungssicherheit im Energiebereich gewährleisten, insbesondere bei der Gasversorgung

 

Die Zeit drängt und so gingen die Gesetzesänderungen mit erstaunlicher Geschwindigkeit durch die parlamentarischen Gremien. Im Rahmen der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts setzt der Bund konkret an verschiedenen Hebeln an. Betroffen sind prinzipiell die gesamte Energiewirtschaft und viele mit ihr in Zusammenhang stehende Gesetze.

 

Neue Regeln für erneuerbare Energien

Das Herzstück der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts bildet eine bahnbrechende Entscheidung: Die Nutzung von erneuerbaren Energien liegt ab jetzt im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit. Der so im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verankerte Grundsatz schafft eine gänzlich neue Dynamik im Stromsektor. Erneuerbare Energien haben bei der Schutzgüterabwägung und beispielsweise in vielen natur- und artenschutzrechtlichen Abwägungsfällen nun Vorrang. Die Entscheidung dürfte den Ausbau im Stromsektor insbesondere bei der Windkraft deutlich beschleunigen.

2030 – also schon in acht Jahren – sieht der Bund einen Bedarf an erneuerbarer Stromerzeugung in Deutschland von 600 Terrawattstunden bzw. 80 Prozent des dann geltenden gesamtdeutschen Bruttostromverbrauchs. Ein Vergleich: Heute sind es 240 Terrawattstunden. Um diese enorme Lücke zu schließen, werden die Ausschreibungsmengen für Wind und Photovoltaik massiv erhöht.

 

 

„Die Ziele sind zwar ambitioniert, aber keine Utopie. Der Kapitalmarkt ist da, und die Investoren sind es auch.“

Frank Höpner, Leiter Strategie und Energiepolitik, ENGIE Deutschland

 

 

Photovoltaik

Der Bund plant eine Vervierfachung der Photovoltaik-Leistung auf Freiflächen und Dächern auf 215 Gigawatt. Damit wäre Deutschland im Jahr 2030 bei sechs bis sieben Mal so viel Leistung wie früher auf fossiler Basis zur Verfügung stand. Dazu sollen unter anderem innovative Nutzungskonzepte forciert werden – etwa schwimmende Module sowie Anlagen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen und Mooren. Ebenso dürfen neben Verkehrswegen wie Autobahnen ab jetzt Solarparks mit 500 Metern Breite errichtet werden – das ist mehr als doppelt so viel wie zuvor. Außerdem steigen die Fördersätze für die Stromeinspeisung bei Dachanlagen, was deren Betrieb attraktiver macht.

Windenergie an Land

Für Windkraft an Land gibt die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts einen deutlichen Wachstumsimpuls. Bis 2030 soll die installierte Leistung an Land auf 115 Gigawatt steigen und sich somit mehr als verdoppeln. Wie schon im Koalitionsvertrag festgelegt, sollen die Länder dafür jeweils um die zwei Prozent ihrer Fläche bereitstellen. Mit dem neuen Wind-an-Land-Gesetz (WaLG) wurde dieses Ziel nun sogar gesetzlich verankert, was den Umsetzungsdruck auf die Länder erhöht. Zusätzlich dient die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts dazu, bürokratische Hürden abzubauen. Beispielsweise soll die die artenschutzrechtliche Prüfung von Windenergieanlagen im Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) standardisiert und vereinfacht werden.

Windkraft auf See

Offshore-Strom ist ebenfalls im Aufwind. Der Bund sieht eine Vervierfachung der installierten Leistung auf 30 Gigawatt bis 2030 vor – bis 2045 sogar auf 70 Gigawatt. Um das Flächenangebot zu vergrößern, dürfen künftig auch Flächen ausgeschrieben werden, die noch nicht zentral voruntersucht wurden. Bislang durften nur Gebiete, die im Auftrag des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) auf ihre Eignung als Windpark-Standort geprüft wurden, an Ausschreibungsverfahren teilnehmen.

Wasserstoff

Wasserstoff ist eine weitere, wichtige Schlüsseltechnologie der Energiewende. Das Ausbauziel liegt, wie bereits im Koalitionsvertrag festgelegt, bei zehn Gigawatt bis 2030. Das ist eine ganze Menge. Den Ausbau möglich machen soll ein schneller, technologieoffener Markthochlauf mit dem Fokus auf grünen Wasserstoff. Hierzu wurden mehrere Förderprogramme angekündigt oder wie im Fall von IPCEI Hy2Tech bereits freigegeben. Hinzu kommen zwei neue EEG-Ausschreibungssegmente – für die Erzeugung von Strom aus grünem Wasserstoff sowie zur wasserstoffbasierten Stromspeicherung. Klar ist dennoch: Deutschland wird beim Wasserstoff Importland bleiben und sich in Zukunft nicht selbst versorgen können – muss es auch nicht. Derzeit entstehen zahlreiche Wasserstoff-Lösungen auf europäischem Boden, auf die die Bundesrepublik zurückgreifen kann. Dazu zählt beispielsweise das ENGIE Hub-Vorzeigeprojekt „HyNetherlands“.

Netzausbau

Die Stromerzeugung auf Dächern und Freiflächen zu forcieren, ist nur ein Teil der Energiewende. Was in der Diskussion häufig unbeachtet bleibt, sind die Stromnetze selbst. Der Netzausbau galt bei Experten bereits bislang als eine der Schwachstellen der Energiewende. Die neuen Ausbauziele verschärfen die Situation: Die Netzkapazitäten reichen bei Weitem nicht für den angedachten Ausbau aus. Das gilt nicht nur im Hinblick auf die zuzubauende Leistung, sondern ebenso im Hinblick auf die Sektorenkopplung und künftigen Nutzungsszenarien, beispielsweise im Bereich Mobilität: Dass bald in jedem Neubaugebiet Elektroautos laden sollen, übersteigt die heutigen technischen Möglichkeiten des Stromnetzes bei Weitem.

Dessen ist sich der Bund bewusst und will den Netzausbau deshalb beschleunigen. Die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts sieht unter anderem eine Anpassung des Bundesbedarfsplans vor, mit dem Deutschland den Ausbau seiner Netze regelt. 17 der darin enthaltenen Ausbauvorhaben wurden erweitert, 19 neue Projekte kommen hinzu.

Überdenken müsste der Gesetzgeber diesbezüglich allerdings noch einige praktische Herausforderungen. Im Falle des Netzausbaus für die Wasserstoffversorgung ist Deutschland beispielsweise weit von der Zukunft entfernt. Die Elektrolyseure stehen überwiegend an der Küste, während die deutsche Industrie, die den Wasserstoff benötigt, im Süden des Landes sitzt. Gefragt sind entsprechend durchdachte Versorgungskonzepte. Diese beziehen im Optimalfall die bestehende Infrastruktur in Deutschland ein. Ausgediente Erdgasleitungen ließen sich für Wasserstoff weiternutzen – es müssen nicht sämtliche Leitungen neu und doppelt verlegt werden.

Gebäudesektor

Ab 2024 soll jede neu eingebaute Heizungsanlage zu mindestens 65 Prozent auf Basis erneuerbarer Energien betrieben werden. Das kommt dem Ausbau der Erneuerbaren erheblich zugute. Die Frage bleibt allerdings: auf welcher Basis? Die Gas-Seite ist in puncto grünem Wasserstoff und Bio-Methan im Gebäudebereich eher außen vor. Beide Energieträger sollen vorrangig in schwer zu dekarbonisierenden Bereichen – wie der Industrie – zum Einsatz kommen. Solarthermie ist sinnvoll, allerdings konkurrieren die Flächen bereits jetzt mit der Photovoltaik. Wir rechnen deshalb mit einem Push auf die Wärmepumpen-Technologie – und eine dringende, bundesweite Sanierungswelle. Um die verbindliche Senkung der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor um 52 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis 2030 zu erfüllen, muss noch sehr viel passieren.

 

Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts: Sorge um die Versorgungssicherheit

Beim Thema Erdgas zeigt Deutschland eine klare Linie: Möglichst schnell weg von russischem Erdgas. Die Drosselung der Erdgasimporte aus Russland trifft die Energiewirtschaft hart. Tatsächlich ist bereits aufgrund der bloßen Menge das bislang aus Russland importierte Gas nicht über andere Quellen substituierbar. Das stellt die Wirtschaft vor ein echtes Problem – nicht zuletzt wegen der steigenden Beschaffungspreise, die Versorger einem ernsthaften Insolvenzrisiko auszusetzen drohen. Die Gaspreise haben sich innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelt. Die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts erlaubt es nun jedoch, die Kosten zeitlich begrenzt an die Endkunden weiterzugeben.

Gut zu wissen: Erdgas spielt nicht nur bei der Wärmeversorgung eine Rolle. Tatsächlich handelt es sich um ein wichtiges Standbein der deutschen Stromerzeugung. Zehn Prozent des Stroms kommen aktuell aus Gaskraftwerken. Diesen jetzt ein Produktionsverbot auszusprechen, ist trotz Krise schwierig. Dennoch plädiert bereits der Finanzminister dafür, die Stromproduktion mit Gas zu stoppen und stattdessen auf Kernkraft zu setzen. Eine Alternative zum Atomstrom wäre es, das Thema dem Markt zu überlassen. Ausgediente, jedoch temporär wieder ans Netz gestellte Kohleblöcke könnten deutlich günstiger als die Gaskraftwerke produzieren, wodurch sich die Angelegenheit über Angebot und Nachfrage von selbst regeln würde.

 

Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts – ein Zielkonflikt?

Die neuen Energiegesetze machen vieles richtig, dennoch hätten sich zahlreiche Marktteilnehmer noch mehr gewünscht – insbesondere beim Abbau bürokratischer Hürden. Offensichtlich bleibt in jedem Fall: Die Energiewende und eine sichere Energieversorgung wird es nicht zum Nulltarif geben. Steigende Preise, fehlende Kapazitäten und ein enormer Ausbau- und Sanierungsbedarf erzeugen Kosten auf allen Seiten – und zwar Kosten, die im Zweifel weiter steigen. Dem Bund muss deshalb der dreifache Spagat gelingen, die Ziele der EU-Klimapolitik zu erfüllen und die Energiewende gleichzeitig für Produzenten sowie für Verbraucher bezahlbar zu halten. Als Energieexperten liefern wir von ENGIE dazu nachhaltige, kosteneffiziente und sichere Konzepte.

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Unser Experte

Frank Höpner
Dr. Frank Höpner ist Mitglied der Geschäftsleitung bei ENGIE Deutschland und verantwortlich für Strategie. Als Experte beschäftigt er sich unter anderem mit energiepolitischen Themen rund um Energieeffizienz und Klimaneutralität.

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